Haben wir überhaupt eine gemeinsame Richtung? Verfolgen wir im Unternehmen überhaupt alle das gleiche Ziel? Immerzu werde ich damit konfrontiert, ob es nicht erst einmal notwendig ist, sich gemeinsam auf ein Ziel zu fokussieren. Dabei meinen die Beteiligten aber ganz unterschiedliche Ziele auf unterschiedlichen Ebenen in unterschiedlicher Detailtiefe. Geht man dem nach, beginnt ein großer Diskurs und langeDebatten, die oft irgendwann ins nirgendwo laufen.
Ich glaube, die Frage lässt sich nicht einfach beantworten.
DIE SCHWIERIGE SUCHE NACH DEM SINN
Da also das mit den gemeinsamen Zielen nicht so gut gelingt, wenden sich viele einer anderen Ausrichtung zu. Dabei geht es um die Suche einer eventuell größeren Klammer. Die meisten landen dann bei dem Sinn.
Die Aufforderung des Bestsellers von Simon Sinek „Kennen Sie Ihr Why?“ befeuert die Ausrichtung, nun auch als Organisation loszugehen und den Sinn zu definieren. Genau hier liegt der Stolperstein. Einen Sinn zu definieren bringt keinen Effekt. Da die meisten Definitionen stark rational getrieben sind und den überwiegenden Teil des Unternehmens damit emotional nicht dauerhaft berühren.
Geht man innerhalb des Unternehmens auf die Suche nach dem Sinn, so wird man sehr schnell feststellen, dass diese sehr anstrengend und mühselig ist. Jeder hat sein eigenes Why oder eine andere Vorstellung von dem Why.
DER SINN IST NICHT DIE LÖSUNG
Meiner Erfahrung nach ist die Auseinandersetzung mit dem Sinn erst möglich, wenn man andere unternehmerische Hausaufgaben gemacht hat. Man benötigt für den unternehmerischen Sinn eine gemeinsame WIR-Basis über die Art und Weise der Zusammenarbeit. Hierfür benötigt man gereifte Persönlichkeiten im Sinne der eigenen ICH-Entwicklung. Gerade Letzteres ist oftmals nicht ausgebildet. Dadurch ist der formulierte unternehmerische Sinn und damit das „Why“ problematisch.
Es ist deshalb problematisch, weil oft als Klebstoff für Kultur- und Führungsdefizite eingesetzt oder genutzt wird. Durch das Definieren des unternehmerischen „Why?“ wird das aber nicht kompensiert. Es ist eine Auseinandersetzung, die man sich sparen kann, da der Klebstoff nicht dauerhaft wirkt. Es ist oftmals der falsche Ansatz an der falschen Stelle.
MEIN WHY, DEIN WHY, UNSER WHY
Trotzdem ist die Frage nach dem Why nicht gänzlich wegzuschieben, denn in einem anderen Kontext ist sie hoch relevant. Und zwar im Rahmen der eigenen persönlichen ICH-Entwicklung. Denn wenn man die Frage nach dem Why konsequent bei sich anwendet, dann landet man bei seinen eigenen Glaubenssätzen, Mustern, Ich-Strategien und bei seiner Persönlichkeit. Die Frage nach dem Why ist meiner Einschätzung nach äußerst individuell und es ist daher schwierig, diese in Gemeinschaften zu orchestrieren.
Wenn sich nun mein Why von dem Why meines Kollegen, von meiner Führungskraft und allen anderen Menschen im Unternehmen unterscheidet, können wir dann trotzdem zusammenarbeiten? Ich beantworte die Frage mit einem: JA! Soweit unser eigenes Menschenbild mit der Diversität in der Why-Frage umgehen kann.
IDENTITÄT IST DIE GRUNDLAGE FÜR ORIENTIERUNG
Simon Sineks Intention bei der Frage nach dem Why war vor allem auf das Marketing gerichtet. Für die unternehmerische Entwicklung und Zukunftsausrichtung sind eine andere Richtung und anderen Fragen aufgrund des vorliegenden unternehmerischen Reifegrades viel spannender und meiner Einschätzung nach wichtiger. Sie lautet: Wer seid ihr? Was ist eure heutige und zukünftige Identität? Was ist euch gemeinsam wichtig? Es geht darum, die Wahrnehmung für die eigene emotionale Identität im Unternehmen zu schärfen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie man diese stärken und weiterentwickeln möchte.
Die Frage nach der unternehmerischen Identität, dies gilt genauso auch für die eigene Identität, ist die Grundlage für die Suche nach jeglicher Orientierung. Ich muss erst geklärt haben: Wer bin ich? oder Wer sind wir? Dann können die Frage nach dem Sinn, Vision und Mission beantwortet werden. Vernachlässige ich dies oder lasse ich dies sogar weg, fehlt die Substanz und die eigentliche Orientierung, welche man gern geben möchte. Die fällt immer wieder zusammen.
DIE EIGENE EMOTIONALE IDENTITÄT
Der beschriebene Ansatz ist natürlich auch für uns persönlich sehr entscheidend. Denn will ich in einer komplexen Welt mit permanent neuen Anforderungen, ständigen Überraschungen und vielfachen Widersprüchlichkeiten für mich ein Stück Orientierung finden, so kann ich dies nur noch durch mich selbst. Erst durch ein Bewusstsein und ein Umgang mit meiner eigenen emotionalen Identität kann ich den Anforderungen angemessen begegnen. Ansonsten bleibe ich eine lose Schraube im Getriebe, in einer komplexen Welt, die hin und her geschleudert wird. Ich renne mich dann im übertragenen Sinne tot. Das liegt darin, dass ich mich aus meinem Inneren selbst nicht ein- und zuordnen kann. Ich warte darauf, dass einer das für mich übernimmt. Das wird aber leider nicht passieren oder es ist hoch widersprüchlich und verbrennend.
DIE EIGENE IDENTITÄTSKLRÄUNG FÜHRT ZU MEHR WIR
Triggert man den Prozess der eigenen Identitätsklärung an, dann kann man selbst so wunderbar spüren, dass das nicht einfach, sondern emotional und komplex ist. Allerdings würde uns die eigene Klärung der Identität sehr dabei helfen, die Identitäten auch im Unternehmen oder in der Gemeinschaft zu klären. Nicht, dass es darum geht, dass wir die eigene Identitätsklärung im Rahmen der unternehmerischen Identitätsklärung offenlegen sollten. Es geht eher darum, dass unser eigener persönlicher Prozess immer emotional sein wird.
Wir erfahren dadurch, dass unsere Emotionen und unser Denken hoch relevant für diesen Prozess sind und können diese Erfahrung dann auch sehr gut in den Prozess der Identitätsklärung des Unternehmens einfließen lassen. Denn erst wenn wir die unternehmerische Identitätsklärung im Kontext unseres gemeinschaftlichen Denkens und Fühlens zulassen, werden wir eine relevante Identität ermitteln und für die Zukunft kreieren können.
#ichkultur
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