Es ist Donnerstagabend 19:00 Uhr. Ich lehne mich kurz in meinen Bürostuhl zurück und atme schwer aus. Wo ist nur die Woche geblieben? Morgen ist bereits Freitag und die To-Do-Liste ist gefühlt genauso lang wie am Montag. Mit Graus denke ich daran, dass ich das Wochenende wohl wieder für eine Aufarbeitung opfern muss. Ich fühle mich erschlagen, energielos, erschöpft und ausgepowert. Eine kurze Zeit lasse ich dieses Gefühl in mir zu. Aber dann sagt meine innere Stimme: Reiß dich zusammen, das schaffst du, streng dich noch mal an, es kommen bessere Zeiten, jetzt aber Augen zu und durch.
Ich bemerke nicht, dass das was ich zu mir sage, die Worte meiner Kindheit sind.
Worte, die sich aus Glaubenssätzen konstruiert und sich tief als Lebens-Leitsätze in mir verankert haben.
GROßE SEHNSUCHT, ABER KEINE ÄNDERUNG
Also mache ich weiter. Weiter mit meinen antrainierten Gewohnheiten: Fange früh an, gönne mir kaum Pausen, trinke viel zu wenig, konzentriere mich auf meine Arbeit, bin für meine Kunden und Mitarbeiter permanent erreichbar und arbeite lange. Woche für Woche für Woche! Ändern tut sich wenig, obwohl ich schon die innere Sehnsucht spüre, endlich aus diesem Hamsterrad und aus dieser selbst konstruierten Fremdsteuerung herauszukommen. Aktuell gibt es aus meiner Sicht aber keine Chance dafür. Das geben mein Kalender, meine Termine und Aufgaben einfach nicht her. Sobald es möglich ist, werde ich dies aber ändern! Ein eigenes Versprechen, was sich erst einmal für die nächsten Wochen und Monate nicht erfüllt. Ich fahre wieder meine eigene Gewohnheitsschiene, schaue nicht nach links und rechts und ziehe meine Arbeitspakete und To-Do-Liste mehr schlecht als recht durch.
MEINE INNERE LEERE
Acht Monate später. Es ist ein Donnerstagabend im November 2018. Ich schlendere über den Hotelflur des InterCity Hotels Berlin und bin seit Montag unterwegs. Ich frage mich: „Was mache ich hier? Ist das jetzt mein zu Hause? Ist das jetzt der Ort, wo ich mich entspannen und wohlfühlen soll? Ist das der Ort, der mich innerlich reifen und wachsen lassen soll?“ Es überkommt mich ein eigenartiges Gefühl von Leere, Einsamkeit und des Kleinseins. Ich spüre, dass meine eigene Welt trotz der Fülle an Aufgaben kleiner geworden ist. Kleiner an Vielfalt, kleiner an Abwechslung und kleiner an Inspiration. Der Lernzuwachs blieb fast gänzlich aus. Ich bemerke, dass ich funktioniere und das sogar noch ganz gut, aber dass ich nicht erfüllt bin. Leichtigkeit, Neugierde, Lebendigkeit. All das ist über die Jahre verloren gegangen und fehlt mir jetzt.Im November 2018 entscheide ich mich, dass endlich Schluss sein soll mit dem eigenen Druck, mit dem eigenen Gehetze und mit dem eigenen Hamsterrad.
MEIN EIGENES REALITÄTSKONSTRUKT AUF DEM PRÜFSTAND
Jetzt könnte man beginnen weniger Kunden anzunehmen, seinen Tag neu zu strukturieren, morgens eine Stunde länger zu schlafen und sich mal wieder ein Theaterabo zu besorgen, um mehr Abwechslung zu haben. Wahrscheinlich spürt man auch für einen kurzen Moment eine Veränderung, aber eben nur kurz. Anders als viele glauben, packt eine Veränderung im Außen nicht den Kern der Ursache an. Ein neu strukturierter Alltag, neue Methoden der eigenen Produktivität, Tools, die dich strukturieren und erinnern, sind unterstützend, aber eben nicht die Lösung.
Die Ursache meines Verhaltens lag an meiner Haltung zu mir selbst und an meinem Realitätskonstrukt, welches ich mir über Jahre aufgebaut habe. Grundsätzlich hatte ich schon das Gefühl, dass ich mich entwickelt habe, wenn mich wer gefragt hätte. Auf alle Fälle! Ich bin aber nicht gereift. Ich habe keinen ausreichenden Reifeprozess bei und in mir aufgegriffen. Ich habe immer nur geschaut, was ich als nächstes zu tun habe, aber ich habe mir überhaupt keine Zeit genommen, mich mal von oben zu betrachten und zu reflektieren, was ich da wirklich tue und was das mit mir macht.
WIR DÜRFEN AUF DEM WEG NICHT UMDREHEN
2019 war nun endlich Schluss. Ich habe mir bewusst Zeiträume eingeplant und genommen, um mich mit mir auseinanderzusetzen. Das war notwendig, da ich immer wieder begann zu zweifeln. Es gab Momente, in denen ich dachte: „Ganz ehrlich, eigentlich läuft es doch gerade ganz gut und eigentlich, habe ich doch gerade auch ganz andere Aufgaben zu erledigen.“ Aber Workshops waren gebucht und bezahlt, also gab es kein Zurück mehr.
EIN NEUER BLICKWINKEL MUSSTE HER
Mir ist klar geworden, dass ich mich stärker mit mir selber auseinandersetzen muss. Dabei ging es mir nicht um einen exzessiven Selbstfindungstrip. Ich wollte herausfinden, was ist es, dass mich noch immer nicht frei und leicht mit all meinen Möglichkeiten und Potenzialen.
DIE INNERE KLÄRUNG IST EIN PROZESS
Der Anfang ist nicht leicht. Es wird nicht wie erhofft entlastender, sondern eher irritierender und vielleicht auch manchmal chaotischer und schmerzlicher. An der ein oder anderen Stelle dieser persönlichen Reise war ich, vor allem dann, wenn ich große Erkenntnisse über mich gewonnen habe, sehr erschüttert. Erschüttert dahingehend, dass ich viel deutlicher sehen konnte, wie krass ich mich in der Vergangenheit verhalten habe.
Mittlerweile weiß ich, dass diese Realisierung sehr klärend und reifend wirkt, was man sich während des Prozesses nicht vorstellen kann. Für mich ist es ein sehr wichtiger Prozess des Loslassens, um in sich seiner eigenen Weite wiederzufinden.
ES IST EINE ENTSCHEIDUNG FÜRS LEBEN
Heute ist der Prozess aus meiner Sicht noch lange nicht abgeschlossen, da inneres Wachstum eine Entscheidung für das gesamte Leben ist. Es wird aber täglich, monatlich, jährlich leichter und ein wenig habe ich das Gefühl, dass ich reife. Ich ermögliche mir und meinem Umfeld eine andere Weite. Ich kann loslassen, mich mehr einladen kann, bin innerlich freier und leichter und kann mich besser zu mir und meinem Umfeld positionieren.
Mein Weg heißt heute: An mir selber dranbleiben! Täglich räume ich mir Zeit zum Reifen und zum bewussten Auseinandersetzen mit mir, meinen gestaltenden Beziehungen und meiner Zukunft ein. Meinen alten Prägungen und Gewohnheiten gebe ich dadurch kaum noch eine Chance. Mein Weg wird dadurch klarer, leichter und erfüllter, jeden Tag ein Stück mehr.
#ichkultur
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