MEINE SEHNSUCHT NACH ORTEN DES WACHSTUMS – DIE UNTERNEHMERISCHE REIFE

1971: Ich bin vier Jahre alt und schlendere durch das großelterliche Schuhgeschäft. Hinter den Ausstellungregalen an der Rückwand, für den Kunden nicht sichtbar, stehen die Schuhkartons bis unter die Decke gestapelt, alle Größen. Ich lerne zählen und fange an eins, zwei, drei vier, …. eine Mitarbeiterin kommt vorbei und sagt zu mir: „Eva, machst Du schon Inventur?“ – ich nickte freudig strahlend und zählte weiter.

Szenenwechsel im gleichen Jahr: Es riecht nach Öl, der Raum ist dunkel und um mich herum stehen unzählige Drahtkörbe mit einem kleinen schön geformten Holzgriff. Ich hebe zwei Körbe an und bringe sie an die andere Ecke des Raumes. Mein Opa, dem dieses Drahtunternehmen damals gehörte, dreht sich um, grinst und bringt lächelnd über die Lippen. „Seht mal unsere beste Mitarbeiterin.“ Dies ist Ansporn, strahlend hüpfend hole ich gleich zwei weitere Körbe.

ORTE DER NEUGIER

In meiner Kindheit habe ich viel Zeit in den beiden großelterlichen Unternehmensräumen verbracht, wo meine Eltern auch in unterschiedlichen Positionen gearbeitet haben. Die großelterlichen Unternehmen waren für mich und meinem Bruder, fast so etwas wie ein persönlicher Spielplatz. Ein Ort, wo man neugierig seien durfte, wo man immer wieder Neues entdeckte, wo man dazugehörte und sich ausprobieren konnte. Eben ein wundervoller Ort des Wachstums.

MEINE SEHNSUCHT NACH BESONDEREN UNTERNEHMERISCHEN ORTEN

Diese frühkindliche positive Erfahrung hat mich bis heute geprägt. Immer noch bewegt mich das tiefe Gefühl der Sehnsucht, dass aus Unternehmen besondere Orte der Potentialentfaltung, der Verantwortung und des „inneren“ und „äußeren“ Wachstums werden können. Orte, wo Menschen sich gegenseitig einladen, wo man gemeinsam für einen lebendigen Spirit sorgt, der begeistert, herausfordert und Freude bringt.

In der heutigen gemeinsamen Arbeit mit den Unternehmen lerne ich vielfach das Besondere im Unternehmen kennen und spüren. Dabei fällt mir auf, dass in den meisten Unternehmen viel mehr Potential, Entwicklung und Wachstum im Unternehmen schlummert, als bisher freigesetzt wird.

ZU WENIG ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN

Wenn ich Revue passieren lasse, wie ich selber meine verschiedenen bisherigen Beschäftigungen in Unternehmen auf meinem Lebensweg erlebt habe, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass ich mich in Bezug auf meine Potenziale nicht so intensiv entwickeln konnte und dadurch die Möglichkeiten auch für das jeweilige Unternehmen gar nicht gehoben habe. Es waren zu viele Vorgaben und Rahmenbedingungen vorhanden, es gab zu viele Regeln, zu viele Bewertungen und Bedenken. Auf der anderen Seite gab es zu wenig individuelle Entwicklungsmöglichkeiten, zu wenig offenen und weiterdenkenden Austausch, zu wenig Begeisterung und Spirit. Dies ist natürlich schon ein paar Jahre her, daher ist die Frage zu stellen: Ist dies heute auch noch so?

NICHT NUR „ÄUSSERES“ WACHSTUM

Viele Unternehmen gehen heute auf den Weg, um in eine neue Unternehmenskultur zu wachsen. Im Rahmen meiner Besuche in den Unternehmen erkenne ich ein grundsätzlich deutliches Bemühen der Veränderung und der Gestaltung des Wandels, aber eben eher und manchmal sogar ausschließlich im „äußeren“ Wachstum. Natürlich unterstreiche ich, dass ein Unternehmen wachsen kann und soll. Und natürlich steht das Anliegen und der Zweck des Unternehmens im Mittelpunkt. Allerdings ist eine Entwicklung heute breiter zu betrachten.

Es ist die Frage zu stellen: Wie kann es gelingen, dass wir die im Unternehmen vorhandenen und vielfach schlummernden menschlichen Potentiale für ein gemeinsames unternehmerisches Anliegen heben können? Es ist nicht zu überlegen, wie kann ich bei meinen Mitarbeitern ein neues methodisches Verhalten implementieren, damit wir nach „außen“ erfolgreicher sind, denn in diesem Fall würde ich eine neue Konditionierung aufgreifen, die keine ausreichende Antwort auf die komplexen Herausforderungen geben würde. Vielfach wird dies aber aufgegriffen, da wir das Anstreben von Agilität aus unserer bisherigen Denkweise ableiten.

VIER ASPEKTE DER REIFE

Mittlerweile haben die Wissenschaftler Jane Lövinger und auch Thomas Binder nachgewiesen, dass eine Agilität nicht mit der Vermittlung von Methoden und der Konditionierung von Verhalten einher geht, sondern mit einer menschlichen Reife. Diese menschliche Reife beruht auf vier Aspekten der Persönlichen Entwicklung:

  • Wie gehen wir mit unseren eigenen Impulsen und Wertemaßstäben um? (Unser Charakter)
  • In welcher Art und Weise gehen wir mit anderen Menschen um? (Unser interpersoneller Stil)
  • Auf was richten wir unser Bewusstsein – Chancen und Mangel? (Unser Bewusstseinsfokus)
  • In welcher Art und Weise denken wir? (Unser kognitiver Stil)

Allein durch die Kenntnisnahme und Verinnerlichung dieser vier sehr starken Aspekte, komme zumindest ich, zu dem Schluss, dass aus Unternehmen, dann in jedem Fall etwas anderes werden wird. Wenn wir uns also vorstellen, dass ein Vorstand, Geschäftsführung, sowie ein Großteil der Führungskräfte und Mitarbeiter, sich in seiner Persönlichkeit sehr gut kennen, wissen wo die eigenen Anteile am Gelingen liegen, den Fokus auf Chancen und nicht auf Bewertung legen und multiperspektivisches Denken im hohen Maße fördern und zulassen, dann entsteht aus Unternehmen ein Ort gereifter Haltung und einer hohen Potentialeinbringung durch die Mitarbeiter.

AUS DEM „INNEREN“ HERAUS REIFEN

Meine Gedanken haben in den letzten Jahren immer wieder darum gekreist, wie kann es gelingen, dass aus Unternehmen „besondere“ Orte werden. Aus meiner Erfahrung heraus, empfehle ich heute eine Entwicklung in den nachfolgenden drei Stufen zu betrachten:

  1. Wie reife ich als Führungskraft und Mitarbeiter?
  2. Wie reifen WIR als unternehmerische Gemeinschaft?
  3. Wie reift unsere Organisation für den Markt und die Umwelt?

Wir können heute als Organisation fast nicht mehr erfolgreich sein, wenn wir im Inneren nicht anfangen sukzessive zu reifen.

Zu reifen für eine komplexere Welt, um ihr gestärkter zu begegnen und mit ihr fruchtbar in Resonanz zu bleiben. Da der gesamte Reife-Prozess eine andere Kultur hervorbringen wird, ermöglicht er uns, dass aus Unternehmen dann besondere Orte des „inneren und „äußeren“ Wachstums werden, wo man als Mensch gemeinsam mit der Organisation wächst. 

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