Ein Mann, der über etwas spricht, was uns alle betrifft und uns mit seinen Fragen: „Womit wollen wir unsere Zeit wirklich verbringen? Wissen wir eigentlich, was wir wirklich, wirklich wollen?“ immer wieder in unserem hektischen Alltag irritiert. Ein brillanter Redner, der uns wiederholt in seinen Bann gezogen hat und dies mit voller Berechtigung, denn es geht um etwas Existenzielles – Unsere Arbeit!

Der Tod von Frithjof Bergmann am 23. Mai 2021 lässt mich innehalten. Bis zu diesem Datum gab es immer diesen geistigen Vater des „New Work“-Konzepts, der im Hintergrund die Augen darauf gerichtet hatte, was wir aus diesem immer stärker werdenden Ansatz wirklich machen.

Die ein oder anderen Ansätze und Entwicklungen haben ihn sicherlich erfreut, gerade wenn es darum ging, dass wir mehr miteinander arbeiten und dass wir uns gegenseitig entwickeln. Sicherlich gab es aber auch Ansätze wie neue Tools und Methoden zur Agilität, die ihn rasend, vielleicht wütend oder sehr nachdenklich gemacht haben.

Nun sollten wir noch stärker anpacken und die Ansätze in seinem Sinne integrieren und weiterentwickeln. Dafür haben wir genau JETZT eine wunderbare Gelegenheit. Das Heraustreten aus der intensiven Pandemiezeit gibt uns dafür eine Möglichkeit. Wir stehen vor dem kritischen Umschaltpunkt und können die Arbeit mit ein paar wenigen Anpassungen so fortsetzen wie bisher oder uns im Sinne von Frithjof Bergmann neu aufstellen. Lassen wir uns erneut inspirieren und zum Weiterdenken anregen.

DIESER MANN, DER RADIKAL DACHTE
Wer war überhaupt dieser Frithjof Bergmann und wie ist er zum Thema „Neue Arbeit“ gekommen? Mit einem Stipendium der österreichischen Botschaft ging der Pfarrerssohn zum Studieren in die USA. Er probierte sich viel aus, war Preisboxer, Hafenarbeiter und Philosophiedoktorant. Bei Letzterem blieb er hängen und widmete sich dann als Philosophieprofessor dem Thema Arbeit und Automatisierung. Er schrieb Bücher und produzierte eine Fernsehserie.

Zusammen mit guten Freunden aus Wirtschaft, Gewerkschaft, Politik schreibt er sein Buch „Neue Arbeit, neue Kultur“ und gründete das erste „Zentrum für Neue Arbeit“.

Eines der ersten Vorschläge des Zentrums ging damals an General Motors: Er unterbreitete den Ansatz aufgrund der damaligen Etablierung der Automatisierung, um „(d)ie halbe Stadt Flint, wo General Motors ansässig war, nicht arbeitslos zu machen und die andere Hälfte in eine Überarbeitung zu treiben, sondern lieber einen ‘horizontalen Schnitt’ zu wagen”, so wie er es nannte.

Dies sollte heißen: Alle bleiben, arbeiten aber nur sechs Monate im Jahr. In den anderen sechs Monaten sollten die Arbeitenden ins „Zentrum für Neue Arbeit“ kommen, um herauszufinden, was sie wirklich, wirklich wollten.
Das Zentrum würde ihnen dabei helfen, damit dann auch tatsächlich Geld zu verdienen. Dies war damals radikal! Das, was sich heute viele Menschen von selbst fragen, wenn sie innehalten, hat Frithjof Bergmann damals als Angebot unterbreitet.

DIE UMKEHRUNG DES KONZEPTS
Seine Kernaussage war, dass sich Menschen der Arbeit unterwerfen. Sein Konzept der neuen Arbeit ruft daher dazu auf, den Zustand umzukehren.

Er sagte: „Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit sollte uns entwickeln, wachsen lassen, Kraft und Energie verleihen. Sie sollte uns ermöglichen, ein lebendigerer, vollständigerer Mensch zu werden.“

Eine nicht richtig angelegte Arbeit ist laut Bergmann: „Eine ‘milde Krankheit’, die irgendwann vorübergeht.“ Dies gelte auch, wenn man die „falsche klassische“ Arbeit lediglich mit Kickertisch, Obstkorb und bunten Wänden etwas angenehmer gestalte. „Ihr ein „Minirock“ anziehe“, so wie Bergmann dies ausdrückte.

Die richtige neue Arbeit ist eben vielmehr als gängige Beschäftigungsverhältnisse, sogenannte Lohnarbeit mit Dekoration: Sie sei für den Einzelnen und für die Gemeinschaft eine nach den Bedürfnissen und gemeinsamen Zweck gestaltete Erlösung.

EIN PHILOSOPHISCHER FEHLER
Warum dies heute noch nicht stattfindet, so beschreibt Bergmann es in seinem Konzept, sei der Tatsache geschuldet, dass die Menschen nicht wissen, was sie wollen – wirklich, wirklich wollen. Das ist ein großer Unterschied zu der Annahme, dass das selbstverständlich ist.

Er bemerkt, dass diese Annahme ein großer Fehler in der Philosophie ist: Da denkt man, die meisten Menschen wüssten genau, was sie wollen, streben danach, erreichen es aber nicht.

Aus seiner Sicht ist das falsch und erliegt dem Irrglauben: Dass man sich nicht eingesteht, dass die meisten Menschen natürlich keine Ahnung haben, was sie wirklich wollen. Er beschreibt es als: „Armut der Begierde!“ Wir haben also einen inneren Antrieb nach einem subjektiv empfundenen Mangel, der wir nicht benennen können.

EINE AKTUELLE CHANCE
Vielleicht ist der Tod von Frithjof Bergmann ein Aufruf, gerade in diesen Tagen eine Chance, diesem sicherlich sehr idealistischen Ansatzes doch ein Stück näher zu kommen. Wir alle haben uns jetzt in der Coronazeit noch einmal anders erlebt. Mit anderen Bedürfnissen, mit erweiterten Sinnfragen und neuen Erfahrungen unserer Lebensgestaltung. All dies sollten wir nun in einen offenen Dialog bringen, um gemeinsam eine Arbeit zu orchestrieren, die einen ganzheitlicheren Ansatz zulässt. Die auf der einen Seite das gemeinsame unternehmerische Anliegen in den Mittelpunkt stellt, aber gleichermaßen auch die Bedürfnisse und das innere Wachstum der Individuen.

Natürlich kommen wir im Rahmen dieser Dialoge zu vielfachen Widersprüchen, wo sich gegenseitige Erwartungen nicht decken, aber deswegen gleich aufgeben, deswegen an dem alten Menschenbild festhalten, deswegen den Weg des geringsten Widerstandes gehen? Dies wäre doch definitiv zu kurz gedacht.

Sicherlich haben wir für die neuen Konstellationen keine Erfahrungen und keine von vielen gewünschten Best-Praktik-Beispiele. Die Frage ist, ob wir jetzt zum Zeitpunkt des kritischen Umschaltpunktes im Sinne der Gestaltung einer neuen Arbeit bereit sind, den Weg des Versuchs und Irrtums zu gehen, des Experimentierens und Ausprobierens oder des Bekannten und des Einfachen.

Sicherlich werden sich viele fragen, wo die Chancen und wo die Hürden liegen. Die Hürden liegen darin, dass es nicht gradlinig laufen wird, dass es holprig wird, dass der Weg iterativ sein wird.

Die Chance liegt darin, dass wir alle wachsen könnten, dass wir unserer Arbeit einen neuen Geist einhauchen, dass wir Arbeit anders erleben und fühlen werden.

EIN ERSTER SCHRITT
Um solch ein ideales Bild irgendwann wahr werden zu lassen, müssen wir mit einem ersten Schritt anfangen. Wie wäre es, wenn du die nachfolgenden fünf Fragen nutzen würdest, um den Dialog in deinem Team, jetzt am Gestaltungs- und Umschaltpunkt zwischen „in der Pandemie“ und „nach der Pandemie“ anzustoßen:

Euer gemeinsamer Dialog:

  • Welche Erfahrungen hast du während der Corona-Zeit in deiner eigenen Arbeitskultur und im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Team/ der FK gemacht?
  • Welche Veränderung hat sich dadurch für dich in deiner Arbeitskultur ergeben?
  • Was sind deine Wünsche und Vorstellungen an die Zusammenarbeit/ an die Gestaltung von Arbeit nach der Corona Zeit?
  • Welche Erwartungen ergeben sich dadurch an das Team/ an die Führungskraft?
  • Welche neuen Rahmenbedingungen/ Prinzipien brauchen wir dadurch für unsere Arbeit/ für die Zusammenarbeit?

Sei mutig und wage dich an die sicherlich nicht immer ganz einfachen Dialoge heran, aber genau diese sind es, die euch anders zusammenarbeiten lassen und weiterentwickeln.

Gern möchte ich meinen Blog mit einem Zukunftsbild von Frithjof Bergmann enden lassen:

 

 „Echte Freiheit wird dem Menschen erst möglich, wenn er erkennt,

was er in und mit seinem Leben wirklich tun möchte und

wenn ihm die Umsetzung seiner Erkenntnis ermöglicht wird.“

#newwork

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