„“DIE ÜBERWINDUNG DES NICHT-WEITER-KÖNNENS

Ich sitze im Homeoffice und wir drei Freundinnen treffen uns nun zu unserem eigentlichen monatlichen Girls-Evening über Zoom – jeder mit seinem eigenen Glas Wein. Es geht darum uns upzudaten, zu berichten was jeder so aktuell erlebt und wo jeder gerade so steht. Bei unserem Austausch bemerke ich, dass Lisa gereizt, unzufrieden und empfindlich ist. Schnell wird deutlich
warum.

Sie erzählt, was gerade für sie geplatzt ist: Der schöne Mallorca-Urlaub zu Ostern, das Live-Konzert mit Johannes Oerding, das Coaching-Wochenende in der Eifel mit ihrer Mastermind-Gruppe und das Wiedersehen in Berlin mit ihrer ehemaligen Schulfreundin aus der USA.

OSTERN UND WIR SITZEN ZU HAUSE

Gerade platzen zahlreiche Wünsche, Vorhaben und vielleicht auch kleine und große Träume: Urlaube, die man zu Ostern lange geplant hat. Der neue Job, für den man so viel investiert hat. Das Treffen mit jemandem, den man jahrelang nicht mehr gesehen hat. All diese wundervollen Ereignisse waren zum Greifen nahe und nun ist es völlig ungewiss, ob, wann und wie sie
überhaupt noch stattfinden werden.

Stattdessen sitzt man zu Hause, wo vielleicht für den ein oder anderen der Alltag und die Kleinigkeiten immer banaler, langweiliger und zäher werden und als Gegenvorstellung die Wünsche und Träume immer größer und anziehender. Ach, wenn doch nur…! Der Kreislauf unserer unzufriedenen Gedanken nimmt seinen Lauf.

BETRAUERN IST ANDERS ALS TRAUERN

Wir müssen die Situation akzeptieren, um aus dem Karussell unzufriedener Gedanken herauszukommen. Das bedeutet nicht, dass man seine Vorhaben oder Ziele aufgibt. Aber man muss akzeptieren, dass es jetzt nicht möglich ist, die Situation zu ändern. Wenn ich innerlich die Nichterfüllung meines Vorhabens, meiner Wünsche oder meiner Ziele betrauere, kann ich „Ja“ sagen zu der Situation, in der ich bin. Betrauern bedeutet: durch die Traurigkeit der Nichterfüllung meiner Vorhaben hindurchzugehen, damit ich wieder bei mir und meiner eigenen Gestaltungshoheit ankomme.

Ich sage „Ja“ zur Situation und damit auch zu mir. Die meisten trauern dem nicht eintretenden Vorhaben, Ereignis oder Wunsch lange nach. Das nach außen gerichtete Nachtrauern entzieht uns aber alle Energie. In diesen Situationen bin ich nur in
der Vergangenheit, was hätte alles Schönes sein können, jedoch nicht in der Gegenwart.

ERST ZULASSEN UND DANN LOSLASSEN

Wenn vieles für uns aktuell geplatzt ist, dürfen wir natürlich trauern. Es geht nicht darum mit einem gezwungenen Lächeln durch die Gegend zu laufen. Lassen wir es zu, dass es uns ärgert, dass es uns wütend macht und uns traurig stimmt. Am besten aufschreiben, diese Möglichkeit nutze ich immer, damit ich es in meinem eigenen Reflektieren verarbeiten kann.

Danach sollten wir aber auch überlegen, wie wir uns oder über was wir uns definieren? Über das Platzen dieser Wünsche, dieser Ereignisse? Über das Erreichen dieser Vorhaben? Sind wir dann jetzt nicht vollständig, nur weil etwas geplatzt ist?

WAS DEFINIERT MICH?

Die Frage, was uns eigentlich definiert, ist eine grundlegende Frage und zwar die Frage nach der eigenen Identität und dies nicht nur in Krisenzeiten, da allerdings besonders. Leite ich meine Identität nur von meinen geplatzten Vorhaben, Wünschen und Ziele ab? Wenn ich dies tue, kann mich ein Jobverlust, eine Auftragseinbuße, eine geplatzte Osterreise oder
eine Situation wie jetzt, in der ich plötzlich zu Hause bin und nicht mehr Chef, sondern Partner und Vater, aus dem Rhythmus bringen.


Mit einmal werde ich auf eine Facette meiner Identität zurückgeworfen, welche ich vielleicht gar nicht mehr so stark wahrgenommen oder ernst genommen habe. Und es kommt das Gefühl bei mir auf: Reicht mir das? Erfüllt mich das? Oder löst dies eigentlich bei mir eher existentielle Gefühle aus? Das sind Fragen, die wir uns in Krisen und in besonderen, nicht beeinflussbaren Situationen stellen sollten.


Oder kann ich meine Identität von meinem Handeln, von meiner gestalterischen Rolle, von meinen Beziehungen mit Freunden und Kollegen ableiten? Sollte dies gelingen, dann kreisen wir nicht mehr um uns selbst und um die angelegte Schwere, in
der wir gefangen sind, sondern wir sind bereit zu neuen Vorhaben und Zielen aufzubrechen.

MENTAL UND EMOTIONAL EINGESPERRT

Um aufzubrechen, braucht es neue Vorhaben, Ziele und Wünsche. Es könnte sein, dass wir in unserer neuen Abgeschiedenheit erst einmal kein Ziel mehr haben. Die äußeren Ziele sind weg oder unerreichbar. Wir sind „gefangen“ und können nicht raus. Dieses spürbare äußerliche Nicht-raus und Nicht-weiter-Können verwandelt sich in ein inneres Nicht-raus- und Nicht weiter-Können, in eine eventuelle tiefe Ziellosigkeit. Wir lassen dann zu, dass die Situation uns auch mental und emotional einsperrt, und uns unsere Freiheit nimmt.

Das Ganze muss aber nicht so dramatisch werden und sein. Doch ganz ehrlich, es gibt diese Situationen, in unterschiedlichen Stufen und Facetten. Um ihr vorzubeugen, sollten wir neue Ziele finden. Konkret für die Situation jetzt. Aber auch etwas weiter entfernt, die wir langsam beginnen ins Auge zu fassen.

NEUE DYNAMIKEN SPÜREN

Langfristige Ziele und neue Pläne, die man jetzt gemeinsam schmiedet, lassen uns für ein paar wenige Momente die Gegenwart vergessen. Es geht nicht darum naiv, unsolidarisch oder abgehoben zu sein. Sich Ziele setzen ist das Gegenteil von einem Flüchten in eine nicht realistische Parallelwelt. Echte Ziele, auch langfristige Ziele müssen für uns realistisch
bleiben. Was aber dadurch möglich wird, dass wir bei den langfristigen, fernen Zielen eine andere Dynamik bei uns spüren können. Ein Fokus darauf, dass es weitergehen wird, dass es auch in der Zukunft Möglichkeiten gibt, auch durch und nach der Krise.

 

 

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